Wie wichtig ist Schlaf für Muskelaufbau

Es gibt viele Dinge, auf die man ohne Probleme verzichten kann. Muskelkater, Steuernachzahlungen oder Stress mit dem Ehepartner gehören mit Sicherheit dazu. Wer allerdings regelmäßig Abstriche beim Schlaf macht, spürt schnell die gesundheitlichen Konsequenzen. Chronischer Schlafmangel ist alles andere als gesund. Aber wie viel Schlaf ist überhaupt notwendig? Und wie wichtig ist Schlaf für den Muskelaufbau? Wir klären auf.

Erholsamer Schlaf als Leistungsgrundlage

Vielleicht müssen wir das zuerst etwas relativieren. Wenn du ohnehin den ganzen Tag auf dem Sofa liegst und deine wertvolle Zeit mit dem Streaming von amerikanischen Serien verbringst oder deine physiologische Maximalbeanspruchung lediglich in den kontinuierlichen Laufwegen zum Kühlschrank liegt, dann hat ausreichend Schlaf mit Sicherheit eine andere Bedeutung, als für die eigentliche Zielgruppe dieses Artikels.

Wer jedoch zur hart arbeitenden, lernenden oder trainierenden Bevölkerung gehört, der kann einen erholsamen Schlaf als fundamentale Säule einer hohen physischen und psychischen Belastbarkeit betrachten. Da wir hier keine Grundlagenforschung im Schlaflabor betreiben, sondern nützliche Trainingstipps erteilen wollen, sollten wir einmal die die sportphysiologische Brille locker auf die Nasenspitze setzen und das Thema Schlaf, Muskelaufbau und Fettverbrennung genauer betrachten und die Zusammenhänge analysieren.

Warum ausreichend Schlaf für den Muskelaufbau unverzichtbar ist

Ein hartes Training stellt deinen Körper vor eine große Herausforderung – insbesondere aus physiologischer Sicht. Aber das ist gut so. Nur so können die relevanten Stoffwechselprozesse auch langfristig auf einem maximal effizienten Niveau ablaufen und die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit im grünen Bereich halten.

Aber welche Faktoren belastet deinen Körper bei einem Muskelaufbau-Training, intensivem Cardiotraining oder anderen schnellkraftintensiven Aktivitäten überdurchschnittlich hoch?

Um diese Frage ausführlich beantworten zu können, müssten wir zunächst einen kleinen Exkurs in das fundamentale Thema der Energiebereitstellung deiner Muskulatur machen. Darauf verzichten wir an dieser Stelle aber, weil wir das Thema in unserem Trainings-Guide ausführlich behandelt haben.

Um einen Kurzausflug in die Physiologie kommen wir trotzdem nicht herum:

Jede Muskelkontraktion setzt gewisse Energiesubstrate im Muskel um, dessen Abfallprodukte sich früher oder später im Blut anreichern, wenn die vom Organismus bevorzugte sog. anaerobe alaktazide Energiegewinnung über Kreatinphosphat und ATP erschöpft ist. Ab diesem Punkt nutzt dein Körper primär die als Glykogen gespeicherten Kohlenhydrate (oftmals auch als Nudelauflauf, Apfelkuchen oder Bratkartoffeln bezeichnet) für die Energieversorgung deiner Muskulatur in intensiven Belastungsphasen.

Bei diesem komplexen Stoffwechselprozess entsteht sog. Laktat als Abfallprodukt, das sich zunehmen im Blutplasma anreichert und früher oder später für ein saures Milieu sorgt – was im Volksmund auch als Übersäuerung der Muskeln bezeichnet wird (nicht zu verwechseln mit dem Muskelkater). Zumindest dann, wenn das anfallenden Laktat nicht zeitgleich wieder abgebaut und so die Übersäuerung verhindert wird.

Ist die Trainingsintensität sehr hoch, kann dein Körper das Gleichgewicht zwischen Laktat-Produktion und Laktat-Abbau nicht halten. Die sog. Homöostase, also ein sensibles Gleichgewicht zwischen vielen Stoffwechselprozessen, ist in diesem Fall massiv gestört. Zudem kann eine starke Übersäuerung während des Trainings zu Leistungseinbrüchen führen, weil die Umsetzung von Glykogen im Muskel mit steigendem Laktatwert im Blut stetig an Effizienz verliert. Dein Stoffwechsel stellt sich also früher oder später selber ein Bein. Fragwürdige Praxis.

Die nachfolgende Grafik zeigt die Abhängigkeit von Trainingsintensität und Art der Energiebereitstellung, die auch beim Schlaf für den Muskelaufbau von entscheidender Relevanz ist.

Satzpausen beim Krafttraining und Energiebereitstellung

Grafik: Energiebereitstellung in Abhängigkeit zur Trainingsintensität

Bei einer anhaltenden Belastungsphase von mäßiger Intensität (z.B. leichtes Laufen oder Radfahren) stellt sich i.d.R. ein Gleichgewicht zwischen Laktatproduktion und Laktatverbrauch ein.

Das anfallende Laktat wird also zeitgleich wieder abgebaut, erneut zu Glykogen aufgebaut und steht dem Energiestoffwechsel nochmals zur Verfügung. Annähernd genial. Das Maximum dieses Gleichgewichtes bezeichnen wir übrigens als „Dauerleistungsgrenze“ oder auch „anaerobe Schwelle“.

Ein erholsamer Schlaf gewinnt besonders dann exponentiell an Bedeutung, wenn deine metabole Homöostase durch hartes Training, harte Arbeit oder viel Stress gestört wird. Insbesondere dann, wenn deine Dauerleistungsgrenze für längere Zeit überschritten wurde. Aber was passiert beim Schlaf genau?

Schlaf und Training – Eine geniale Symbiose

Nur wenn du nach einer intensiven Belastungsphase die vollständige Wiederherstellung der Homöostase aller beanspruchten funktionellen Systeme deines Körpers gewährleisten kannst, kann auf einen intensiven Trainingsreiz auch eine gezielte Hypertrophie (also das Muskelwachstum) erfolgen.

Du musst deinem Körper also erst einmal Zeit zur Regeneration und zum Abbau aller angefallenen Stoffwechselprodukte geben, bevor er mit dem Aufbau neuer Muskelmasse beginnen kann. Diese Abfallprodukte entstehen nicht nur bei der Verwertung von energiereichen Phosphaten (ATP), sondern auch bei der Synthese anderer metaboler Funktionsträger.

Der Schlaf ist in Hinblick auf die Bedeutung für die Regenerationsfähigkeit der wichtigste Faktor bei der Wiederherstellung der Homöostase. Dabei ist weniger der tägliche „Power-Nap“ bzw. das „Fresskoma“ nach der abendlichen Keksorgie gemeint, sondern vielmehr ein durch durchgehende Schlaftiefe und schnelles einschlafen geprägter, erholsamer Schlaf.

 

Erst durch einen erholsamen Schlaf kann sich eine regenerative Schutzhemmung über die Hirnrinde ausbreiten, die über den Tag angehäufte Stoffwechselprodukte abbauen und unschädlich machen kann. Diese regelmäßige und vollautomatisierte Prozedur ist notwendig, damit dein Gehirn vor einer metabol bedingten Überlastung geschützt werden kann und du jeden Tag erneut wieder frisch und leistungsfähig bist – auch kognitiv (Harre, D. (Red.): Trainingslehre, 6. Aufl. Sportverlag, Berlin 1976, 265).

Der überwiegende Anteil aller anabolen (aufbauenden) Prozesse, die hormonell durch die ebenfalls im Schlaf ausgeschütteten Wachstumshormone, u.a. Testosteron, gesteuert werden, läuft in den verschiedenen Schlafphasen ab, die du in jeder Nacht nach einem intensiven Training bzw. intensiver körperlicher Beanspruchung durchläufst. Also erfolgt ein wesentlicher Anteil des gesamten Muskelaufbaus schlichtweg während des Schlafs. Klingt doch recht einfach, oder? Nur wer ausreichend schläft, kann das für die Regeneration und den Muskelaufbau nötige Zellwachstum optimal unterstützen.

Demnach können regelmäßige Schlafstörungen, egal ob sie dabei durch massiven Lärm der Nachbarn, zu viel Kaffee, Stress oder sonstige psychische Faktoren ausgelöst werden, durchaus destruktiv für den Aufbau neuer Zellstrukturen wirken. Die fehlenden Tiefschlafphasen verhindern eine gleichmäßige Hormonausschüttung und damit auch den schnellen Aufbau neuer Proteinstrukturen, also das eigentliche Muskelwachstum.

Wer nicht ausreichend schläft, baut also nur bedingt neue Muskelmasse auf. Wobei ein chronischer Schlafmangel nicht nur ein Indiz für zu viel Stress oder zu laute Nachbarn sein muss, sondern auch ein Indikator für eine trainingsbedingte Überlastung (Übertraining) darstellen kann. In diesem Fall solltest du dein Trainingspensum dringend überprüfen und anpassen.

Wie viele Stunden muss ich schlafen?

Wie immer gibt es keine allgemeingültige Faustregel für die optimale Schlafdauer beim Muskelaufbau oder für dein persönliches („ideales“) Wohlbefinden. Wenn du mit 4 Stunden Schlaf absolut klarkommst und dich auch langfristig zu Höchstleistungen in der Lage siehst – nun gut. Viel Erfolg.

Grundsätzlich gilt auch bei der idealen Schlafdauer ein ähnliches Konzept wie der idealen Satzpausenlänge:

Lift when you’re ready. Get up up when you´re ready. 

Natürlich hat die Auslegung dieser Konzepte seine Grenzen. Wenn du glaubst, dass du 12 oder mehr Stunden Schlaf täglich benötigst, um einigermaßen in die Restlichen 50% deines „Tages“ zu starten, liegst du falsch. Es wäre vielleicht an der Zeit, deine Ernährungs- und Lebensgewohnheiten einmal ausführlich zu überprüfen und nachzuforschen, warum du dein halbes Leben verschläfst.

Für alle anderen Athleten und die, die es werden wollen, gilt aber ein grober Richtwert von 6-8,5 Stunden Schlaf täglich. Eine Vielzahl von Studien hat gezeigt, dass sich nahezu 99% aller empfohlenen Richtwerte irgendwo zwischen diesem Bereich einpendeln. Auf die Anführung einzelner Studien zur Bedeutung von Schlaf für den Muskelaufbau verzichte ich hier. Du bist der Suchmaschinen selber mächtig.

Wie Erholsam dein Schlaf im Endeffekt ausfällt, hängt aber nicht nur von der Schlafdauer ab. Wer abends vor dem Schlafen literweise Grünen Tee inhaliert und im 15-Minunten-Takt die rettende Keramik flutet, seinen Hamster im Hamsterrad neben dem Kopfkissen das nächtliche Cardio-Training absolvieren lässt oder schlichtweg direkt auf dem Bahnsteig schläft, der kann nicht erwarten, dass die regenerative Schutzhemmung unterbrechungsfrei arbeitet und eine erholsame Wirkung entfaltet. In diesem Sinne: Gute Nacht!

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus unserem Hypertrophy Guide für Männer und Frauen.

[sibwp_form id=3]